Klaus Kaschel im Interview mit Uli Jon Roth im Airport Obertraubling

uli jon roth

INTERVIEW

Mit Uli Jon Roth (ex-Scorpions, Electric Sun)
Über Japan, das umstrittene Cover zu Virgin Killer und natürlich Jimi Hendrix

Uli Jon Roth verließ die Scorpions kurz bevor sie zu ihrer Weltkarriere durchstarteten. Seither hat er etliche Alben mit unkonventioneller bisweilen unkommerzieller Musik herausgebracht. Roth ist einer der letzten Hippies. Aber keiner der verträumt durch die Gegend latscht, sondern einer der sich eigene kluge Gedanken über den gegenwärtigen Zustand der Welt macht. Roth geht in seiner Musik auf und er erweist sich als ein Mensch, der Musik nicht isoliert betrachtet. Er hat sich sein eigenes Gedankensystem zurecht gelegt, in dem viele Bereiche der Kunst und Kultur verknüpft werden.
Klaus Kaschel sprach mit dem freundlichen, ausgeglichenen und auskunftsfreudigen Gitarristen vor seinem Auftritt in Regensburg / Obertraubling.

“Er war einzigartig in der Musikgeschichte”

Frage: Erinnerst Du dich an Auftritte in Regensburg?
Roth: Mit den Scorpions 1974 in der RT-Halle. Die war ziemlich leer. Und dann ein zweites Mal wahrscheinlich 1976. Ich muss mich mal mehr um die Musikfreunde hier kümmern!

Frage: Deine neue CD erscheint im Dezember. Was gibt es darüber zu berichten?
Roth: Es ist eine Live-Doppel-CD mit dem Scorpions revisited-Programm. Ich wollte eine Live-Platte. Wir haben sie vor einiger Zeit in den USA aufgenommen und es klang ganz nett. Auf der Tour wurde wir immer besser. Unser Drummer Jamie Little meint: „Warum machen wir das nicht gleich richtig und gehen ins Studio und nehmen das Ganze auf“. So ist quasi eine Live-Platte, aber ohne Publikum entstanden. Unser Sänger im Studio war Nathan James.

Frage: Es kommt selten vor, dass ausgeschiedene Mitglieder einer Band noch ein so gutes Verhältnis zu ihren ehemaligen Bandkollegen haben. Meistens trennt man sich im Streit. Bei Dir ist das bei den Scorpions ganz anders gelaufen.
Roth: Wir sind ja nicht im Streit auseinander gegangen, sondern als Freunde. Zum damaligen Zeitpunkt wollte ich etwas anderes machen. Meine Uhr war abgelaufen bei den Scorpions nach fünf Jahren, obwohl ich mich wohlgefühlt hatte. Ich wollte andere Horizonte erkunden, weil die Scorpions eher auf ein breiteres Publikum geschaut haben und kommerzieller werden wollten. Meine Kompositionen waren eher experimenteller.

Frage: Die letzten Jahre bist Du öfter wieder mit den Scorpions auf der Bühne gestanden. Welche Auftritte waren für Dich herausragend?
Roth: Es gab einige Besondere. Gleich das erste nach all den Jahren fand 2005 in Colmar in Frankreich statt. Dann kamen eine England- und eine Frankreich-Tournee. Besonders gefallen haben mir zwei große Konzerte im Stadion von Athen. Die Scorpions haben ja eine besondere Beziehung zum griechischen Publikum und umgekehrt. 2006 spielte ich mit ihnen in Wacken und das war natürlich auch ein Highlight.

Frage: Erinnerst Du dich, wie Du das erste Mal nach Japan gekommen bist?
Roth:
Absolut. Das war 1978. Da wurde das Live-Doppel-Album Tokyo Tapes aufgenommen. Das war gleichzeitig mein Schwanengesang, mein allerletzter Auftritt mit den Scorpions. Mit der Scheibe schaffte die Band den Durchbruch international.

Frage:
Auf Tokyo Tapes gibt es auch einen japanisch gesungenen Titel!
Roth:
„Kojo No Tsuki“. Das war eine Idee von Klaus Meine ein japanisches Volkslied zu singen. Eine Studentin hat Klaus darauf hingewiesen. Auf dem Flug nach Japan hat er den Text gelernt. Beim ersten Soundcheck hat er mir die Melodie vorgesungen und ich habe ein Arrangement nullkommanix dazu kreiert. Das Ergebnis ist auf Platte zu hören. Ich finde, es ist sehr schön geworden.

Frage: Du musst jetzt noch Fans haben als Uli Jon Roth.
Roth: Ja klar, wir spielen demnächst in der gleichen Halle, in der die Scorpions damals aufgetreten sind: Sun Plaza Hall. Die Japaner sind mir sehr treu geblieben. Im Frühjahr 2015 werden wir wieder dort sein und das jetzige Scorpions revisited-Programm auf Video aufnehmen. In eben dieser fabelhaften Halle, die soll nämlich für die Olympischen Spiele abgerissen werden. Als ich das gehört habe, dachte ich mir: Da sollten wir nochmal in den Geschichtstopf greifen und das wieder aufleben lassen.

D I E  S O N G S


Frage:  War „Drifting sun“ von der LP Fly To The Rainbow dein erster eigener Song?
Roth: Ja. Ich hatte zwar vorher schon ein wenig komponiert für eine Band namens Dawn Road, bei der auch Francis Buchholz und Jürgen Rosenthal mitspielten, die später auch bei Fly To The Rainbow beteiligt waren. Das war im Herbst 1973, als wir gerade angefangen hatten.

Frage: 1976 kam dann „Hell cat“ dazu.
Roth: Ich habe eine ganze Menge anderer Songs zuvor geschrieben. Auf der LP In Trance war ungefähr die Hälfte von mir, auf der LP Virgin Killer auch. „Hell cat“ war ein sehr von Jimi Hendrix inspiriertes Stück.

Frage: Das Cover zu Virgin Killer ist in den späteren Jahren umstritten gewesen. Es wurde auch abgeändert. Aber zur damaligen Zeit war das nicht anstößig, wenn man an Plattencover von Blind Faith oder Led Zeppelin denkt!
Roth: Nein, das sagst Du so. Die Idee kam von der Plattenfirma, bewusst mit der Absicht Aufmerksamkeit zu erregen oder vielleicht sogar zu schocken, was auch erreicht wurde. Ich habe leider damals gegen das Cover nicht rebelliert. Ich hätte es tun können, weil es mir im Nachhinein ziemlich peinlich ist. Es ist eine Geschmacklosigkeit. Besonders, wenn man Vater ist und selber Kinder hat. Das einzige, was man zur Verteidigung sagen kann, ist: Es geht um den Song „Virgin killer“.
Dazu gibt es eine Geschichte: Das Lied habe ich geschrieben, nachdem wir mit KISS 1976 als Vorgruppe bei ihrer Deutschland-Tournee unterwegs waren. Wir waren hinterher im Übungsraum und ich spielte dieses Riff und sang: „Can’t you see the virgin killer“. Mehr als Witz, um Kiss auf den Arm zu nehmen. Eigentlich würde mir so eine Zeile gar nicht einfallen. Alle sagten: „Das ist gut. Mach mal was draus“. Ich hatte die undankbare Aufgabe einen Text darauf zu schreiben, der irgendwie Sinn machte und kein „Sex, Drugs & Rock’n’Roll“ war, was ich bei Texten noch nie gut fand. Ich habe schon früh darauf geachtet, dass die Texte eine Message und einen Sinn haben. Der Virgin Killer ist bei mir der Dämon unserer Zeit, einfach gesagt: der Zeitgeist.
Es ist doch so: Wenn Menschen geboren werden, sind die ersten zehn Jahre normalerweise, wenn alles gut geht, sehr behütet. Es ist fast eine heile Welt mit Märchen, Kindergeburtstagen usw. Irgendwann sind die Kinder nicht mehr Kinder. Unser Zeitgeist ist nicht das, was die Seele eines Menschen braucht. In Wirklichkeit ist da sehr vieles im Argen. Und darum geht es in dem Song „Virgin killer“, auch um Umweltverschmutzung, Atombombentests.
Wenn wir erwachsen werden, verlieren wir quasi unsere psychische Unschuld. Man kann sich dem gar nicht entziehen. Heutzutage sind die Kinder dem Internet ausgeliefert und es ist fast unmöglich sie vor Hardcore Porn und Gewalt zu bewahren. Ich habe das bei meiner achtjährigen Tochter erlebt: Da gab es einige schockierende Vorfälle in der Grundschule. Als ich klein war, gab es das alles noch nicht. Meine Generation ist relativ behütet aufgewachsen.
Ich finde, Kinder sollten Kinder bleiben. Ihre Psyche sollte eine gute Grundierung kriegen und nicht mit Sachen konfrontiert werden, für die sie nicht gemacht sind.
So habe ich ambivalente Gefühle, wenn ich dieses Cover sehe. Ich kann nicht erwarten, dass es wieder weggeht, weil es mir sehr peinlich ist. Den Song an sich und seine Message kann ich auch heute noch voll unterschreiben.

D I E  Z E I T  M I T  E L E C T R I C  S U N

Frage: Auf deiner LP Astral Skies von 1985 spielt Clive Bunker mit, der erste Drummer von Jethro Tull. Wie kam es dazu?
Roth: Damals haben wir in England einen neuen Schglagzeuger gesucht und veranstalteten eine Audition. Bei Clive wusste ich sofort, dass er der Richtige ist, denn er hat ein sehr schönes Rhythmusgefühl, das mit mir harmonierte. Er ist sehr lange bei mir geblieben, bis ich anfing synfonische Sachen zu machen, bei denen ich keine Drums mehr brauchte. Clive war eine echte Bereicherung.

Frage:
Und was ist mit Clive Edwards, der auf deiner LP Earthquake 1979 trommelte?
Roth: Den habe ich auch bei einem Vorspielen in London kennen gelernt. Es ging etwas unglücklich aus: Kurz bevor wir anfingen auf Tournee zu gehen mit Electric Sun, bekam Clive ein besseres Angebot und ist bei den Wild Horses eingestiegen. Wir mussten uns auf die Schnelle einen neuen Drummer suchen, der dann auf der zweiten LP Firewind von Electric Sun spielte.

FRAGE: Du scheinst viel beschäftigt zu sein: Das Scorpions revisited-Programm, deine synfonischen Werke und Workshops.
Roth: Momentan ruhen die synfonischen Sachen. Ich möchte gerne mal eine Live-CD mit Electric Sun-Stücken aufnehmen. Viele fragen danach.
Dann möchte ich wieder mit Orchester arbeiten. Ich habe noch sehr viel Musik in der Schublade, die geradezu darauf wartet mit Orchester aufgenommen zu werden.

Frage:
Du hast ja eine bestimmte Art an Musik heranzugehen und du hast Dir ein eigenes Gedankensystem zurechtgelegt. Hast Du dir das selber erarbeitet oder haben dich bestimmte Schriftsteller beeinflusst?
Roth: „Erarbeitet“ ist zu viel gesagt. Ich habe mir einfach Zeit genommen viel nachzudenken darüber, wie die Musik unseres Tonsystems zusammenhängt mit Mathematik, Periodensystem, Weltall usw.
Ich habe schon früher viel gelesen, v.a. griechische Philosophen wie Platon, dessen Werke ich sehr gut kenne. Aber auch spätere Schriftsteller wie Dostojewski oder Tolstoj. Das waren Inspirationsquellen.

Frage: Und was ist mit deinen Workshops?
Roth: Interessant wurde es, als ich anfing zu unterrichten. 2006 gab es die erste „Sky Academy“ in der Universität von Los Angeles (UCLA). Das war für mich auch sehr inspirierend. Damit verbunden waren drei große Konzerte mit fast 25 Gastmusikern, z.B. Robbie Krieger (Doors), David Paich (Toto) oder Don Dokken (Heavy Metal Band Dokken). Das hat viel Spaß gemacht.

FRAGE: Uli Jon Roth ist ohne seine Inspirationsquelle Jimi Hendrix nicht vorstellbar! Was ist dein Lieblingslied von ihm?
Roth: „Little wing“! Natürlich nicht zu vergessen: „All along the watchtower“, von Bob Dylan geschrieben, aber Jimi hat den Song so genial arrangiert, dass seine Version unübertroffen ist. Ich mag das meiste, was er gemacht hat. Er war ein Musikgenie erster Güte. So einen wie Hendrix wird es nie wieder geben. Er ist einzigartig in der Musikgeschichte.

Frage: Interessieren Dich auch die Scheiben, die immer noch mit Hendrix-Material veröffentlicht werden?
Roth: Ab und zu höre ich ihn, wenn mir die Platten zugeschickt werden. Es interessiert mich nicht mehr so, weil ich das Thema schon früher aufgesogen habe. Das wichtigste an Hendrix waren seine ersten Alben, seine Live-Konzerte und seine Message: „When the love of power gives way to the power of love, bullets will be fairy tales“ oder so ähnlich ……….(lacht). Den genauen Text musst Du googeln.

Das ist ein schönes Zitat zum Schluss. VIELEN DANK für das Gespräch und weiterhin viel Erfolg!

An dieser Stelle ein ganz großes Danke an Klaus Kaschel für das Zurverfügungstellen des Interviews!